Über die Sackgasse des Warum:
Fragetechnik im Coaching

Warum? Stets benutzen wir die fünf Buchstaben, um den Grund für ein Verhalten oder einen Umstand zu erfragen. Doch im Coaching erweist sich das Fragewort „Warum“ als kritisch.

Preview: 

  • Wieso, weshalb, warum: Warum wir überhaupt Fragen stellen.
  • Warum nicht warum: Was die fünf Buchstaben mit dem Befragten tun.
  • Das Weltbild der Warum-Fragenden: Wie Begründungssemantik das Blickfeld einschränkt.
  • Wenn nicht warum, was dann: Orientierung durch das Meta-Modell der Sprache. 
  • Die drei Ebenen der Sprache: Wie gelangt man zur Tiefenstruktur?
  • Besser fragen: Wie fragt der Coach richtig?

Wer? Wie? Was? Wieso? Weshalb? Warum? – Wer nicht fragt, bleibt dumm!

Wer kennt nicht dieses Lied der Sesamstraße, das Kinderohren so vertraut ist und Eltern oft in den Wahnsinn treibt. Bohrende Warum-Fragen zu beantworten, ist anstrengend – vielleicht gerade deshalb wird das Wörtchen „Warum“ gerne und viel in unserer Kommunikation verwendet. Auch im Coaching ist das „Warum“ anzutreffen – und doch sind Warum-Fragen in diesem Bereich ganz besonders fehl am Platz. Doch warum stellen wir überhaupt Fragen?

Warum wir Fragen stellen

Fragen sind unentbehrliche, nie stumpf werdende Werkzeuge, wenn der Mensch versucht zu verstehen, warum er tut, was er tut, wie die Dinge funktionieren und zusammenhängen. Die vielen Fragen, die sich uns Menschen stellen, fordern uns auf, uns in ein großes Unbekanntes hineinzuwagen, um zu lernen, zu wachsen und zu erkennen, dass wir nicht fertig sind. Nach dem verstorbenen Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti sind Fragen ein Mittel des „Eindringens“, der Zerlegung, vor der man sich durch Schweigen irgendwann schützen muss. Fragen sind auch für den Moderator und Coach von zentraler Bedeutung: Er muss die Balance halten zwischen Aktivieren und Mäßigen, zwischen wissen wollen, worum es genau geht, was da läuft, dahintersteckt, stört, blockiert … und penetrantem Nachbohren. Er darf weder Verhörcharakter noch Widerstand erzeugen, damit er den Kommunikationsprozess kraftvoll leiten, maßvoll steuern und kontinuierlich weiterführen kann.

Warum nicht „Warum?“

Im Coaching sind Warum-Fragen mit Vorsicht zu genießen. In ungewohnten oder stressbelasteten sozialen Situationen lösen Warum-Fragen nämlich Reaktanz, d.h. eine innere wie äußere Abwehrreaktion aus. Sie münden entgegen ihrer Intention nicht selten in einer Kommunikationsblockade. Jemand, der unter emotionalem Druck steht, wittert in diesen fünf Buchstaben einen versteckten Angriff und reagiert wahrscheinlich mit Rechtfertigungen oder einem Gegenangriff.

„Warum“ fragt nach einer kausalen Erklärung für ein Phänomen, einer Aus-Wirkung. Und eine kausale Erklärung schließt von einer Ursache auf eine Wirkung. Sie setzt die Wirkung als Tatsache voraus und sucht nach einem ursächlichen, direkten Zusammenhang zur Wirkung. Warum-Fragen führen zur Begründungssemantik. Ein „Warum?“ fordert ein „Weil!“ und das, weil wir Menschen die Neigung haben, hinter allem eine Ursache zu vermuten. Wir meinen, (immer weiter) Warum-Fragen stellen zu können und dadurch zu immer tieferen Erkenntnissen zu kommen. Dieses Vorgehen hat evolutionäre Gründe: Es gilt als vermeintlich besser, eine falsche Ursachenvermutung zu haben als keine Erklärung.

Das Weltbild der Warum-Fragenden: Determiniert und mechanisch

Im Coaching wird durch Warum-Fragen ein mechanistisches Weltbild suggeriert, in dem alles determiniert ist und Zwischentöne ignoriert werden. Wenn man zu wissen glaubt, wie die Dinge miteinander zusammenhängen, ist man nicht mehr in der Lage, zu überlegen, ob es denn auch anders sein könnte. Damit allerdings erweist der Coach sich und den Menschen in seiner  Teilnehmergruppe einen Bärendienst. Gerade die Zwischentöne sind es ja, auf die es im Coaching ankommt! Eine Aufgabe des Coaches ist es, zu zeigen, dass keine Meinungen „richtiger“ oder „besser“ ist als eine andere. In multikausalen, offenen Systemen ist es nicht möglich, Ereignisse und auf ihnen basierende Folge-Ereignisse als Ursache-Wirkungs- Prinzipien zu definieren. Die Frage etwa danach, wer angefangen hat, warum die Situation so ist, wie sie ist, ist z.B. für Konfliktgeschehen (in einer Partnerschaft oder in einem Team) im Regelfall nicht beantwortbar, zumindest nicht eindeutig und zweifelsfrei. Kleine Ereignisse führen zu größeren Ereignissen und die Eskalationsspirale nimmt ihren Lauf. Subjektive „Erklärungen“ führen zu  unüberbrückbaren Reaktionen. Die Warum-Frage: „Warum ist es zu X gekommen“ führt zu einem Schuldigen oder Verursacher, dem Sündenbock und das wird der Komplexität der Realität nicht gerecht.

Wenn nicht „Warum?“, was dann?

Ein Coach muss mit lösungsorientierten Fragen ans Werk gehen und die Schleife nach der unsinnigen Suche nach dem einen Grund, dem einen Schuldigen, … durch eine sinnvolle Suche nach relevanten Informationen für die gegebene Aufgabenstellung ersetzen. Eine gute Orientierung zum gezielten Fragen bietet dem Coach das so genannte „Metamodell der Sprache“: Der Ausgangsgedanke ist dabei der, dass die Dinge um uns herum unabhängig davon existieren, ob wir sie benennen, ob wir ihnen einen Namen geben oder nicht. Damit wir uns über das, was ist (und das, was wir uns vorstellen, austauschen können, brauchen wir Namen für die Dinge. Um komplexe Zusammenhänge austauschen zu können, brauchen wir mehr als Begriffe, wir benötigen ein Sprachsystem, eine Sprache. Das Gesprochene ist aber niemals das Ding an sich, sondern lediglich eine Beschreibung des Dings (oder Sachverhaltes), es ist also stets nur ein „Modell“ dessen, was es bezeichnet. Die Landkarte (wie gut sie auch immer gemacht ist) ist nicht das Gelände, sondern nur ein „Modell“ davon. Und das Modell dessen, was wir wahrnehmen (also letztlich unser Modell der Welt), ist auch noch im höchsten Maße individuell!

Orientierung durch das Meta-Modell der Sprache

Macht man sich Gedanken darüber, wie Sprache funktioniert, wie Menschen sich verständigen, dann bastelt man sich gewissermaßen ein Modell vom Modellerzeugungswerkzeug Sprache, also ein Modell von einem Modell, ein „Meta-Modell“ von Sprache. Das Sprache-Meta-Modell aus dem Neuro-Linguistischen-Programmieren basiert auf der Annahme, dass es drei Ebenen gibt, auf denen wir Sprache nutzen, um uns mitzuteilen.

Alle drei Ebenen stehen miteinander in Wechselwirkung:

  1. die vorsprachliche Ebene der Erfahrung
  2. die Tiefen-Struktur der Sprache 
  3. die Oberflächen-Struktur der Sprache

1. Die vorsprachliche Ebene

Vorsprachlich heißt diese Ebene, weil wir nur für Teile unserer Erfahrungen über Begriffe verfügen. Wir können unser Erleben daher nur bruchstückhaft in das kulturell und gesellschaftlich geformte Medium der Sprache übersetzten.

2. Die Tiefen-Struktur

Die Tiefen-Struktur der Sprache beinhaltet alle sprachlich darstellbaren Informationen zu einem Sachverhalt, wie etwa: „Ich sitze in meinem Büro am Schreibtisch auf einem einigermaßen bequemen Bürosessel und versuche mich am Computer an Formulierungen, um eine möglichst einfache, verständliche Darstellung dessen zu finden, was das Meta-Modell der Sprache ist. Die lautstarken Rasenmäharbeiten meines Nachbarn irritieren und behindern mich dabei etwas.“

3. Die Oberflächen-Struktur

Die Oberflächen-Struktur der Sprache enthält nur noch das umgangssprachliche „Kürzel“ für den zu beschreibenden Sachverhalt mit dem Ziel, Verständigung zu vereinfachen. Für das oben genannte Beispiel etwa: „Ich schreibe.“ Das Paradebeispiel für die Oberflächen-Struktur ist der Slang oder der Fachjargon, der die Sprache für Insider „komprimiert“ und für Laien völlig unverständlich werden lässt.

Was Sprache zeigt

Innere Wirklichkeit, Wahrnehmung und sprachlicher Ausdruck hängen über diese drei Ebenen zusammen. Die Informationen, die aus der Tiefenstruktur an der Oberflächenstruktur (und nur diese ist „sichtbar“) ankommen, sind durch die Phänomene „Tilgungen“, „Verallgemeinerungen“ und „Verzerrungen“ reduziert und dezimiert: Verzerrungen sind Vorurteile, die zu Wahrnehmungsfiltern führen. Verallgemeinerungen sind Generalisierungen von Erfahrungen, die zu Pauschalurteilen und -aussagen führen. Tilgungen sind Informationen, die in Folge selektiver Wahrnehmung nicht realisiert wurden und deshalb in der sprachlichen Beschreibung eines Sachverhaltes nicht vorkommen. Sie sind unbewusste, aber absichtliche „Auslassungen“. Das „Meta-Modell der Sprache“ bildet die Basis der aus diesen Überlegungen resultierenden Fragehaltung, Fragetechnik oder besser Nachfrageart, mit der sprachliche Äußerungen von der Oberflächen-Struktur in die Tiefen-Struktur verfolgt werden. Stellt man sich vor, dass in einem Coaching die Äußerungen eines Coaches auf der Oberflächen-Struktur liegen und man – mit der „Meta-Modell-Fragetechnik“ – herausfinden möchte, was in der „Tiefen-Struktur“ darunter liegt, hat man eine gute Orientierung für die erforderliche Art des Fragens und zwar jenseits der Frage „Warum?“. 

Wie also besser fragen?

Im Coaching sind verbale Steuerungsfragen erforderlich, die über das Niveau einer Warum-Frage hinausreichen müssen. Besonders wichtig ist dies, um kritische Situationen im Gruppenprozess, wie sie etwa durch „Killerphrasen“ entstehen, zu meistern. So kann der Coach etwa unspezifische Substantive „Die Gefahr ist zu groß!“ mit einer Frage, wie „Was genau meinen Sie mit Gefahr?“ konkretisieren. Oder er kann unspezifische Verben „Bei dieser Entscheidung wurde ich übergangen!“ mit einem „Inwiefern wurden Sie übergangen?“ hinterfragen.

Redesituationen, in denen spezifisches Fragen besonders hilfreich ist, sind:

  • Blockaden wie etwa: „Das geht nicht!“
  • Unspezifische Begriffe wie „gut“ oder „schlecht“ 
  • Verallgemeinerungen wie „jeder“ oder „immer“ 
  • Implizite Annahmen wie „Da macht der nie mit!“ 
  • Allgemeine Vergleiche wie „Bei Y geht das alles!“

Bei einer Blockade nach dem Strickmuster „Das geht nicht!“ kann der Coach fragen: „Was genau geht nicht?“ oder „Was macht Sie da so sicher?“. Ein unspezifischer Begriff wird durch eine Frage konkret, wie „Was meinen Sie mit ,gut’? Oder: „Woran machen Sie ,gut’ fest?“ Einer Verallgemeinerung kann man mit einem ungläubigen „Jeder?“ oder einer Frage wie „Gibt es dazu Ausnahmen?“ begegnen. Eine implizite Annahme wird durch eine Frage wie etwa „Hat er das gesagt?“ oder „Könnte das (in diesem Fall) auch anders sein?“ hinterfragt. Und ein allgemeiner Vergleich wird durch eine Frage wie etwa „Was konkret geht bei Y alles?“ oder „Wie sind dafür die spezifischen Bedingungen bei Y?“ aufgeweicht.

Der Gewinn spezifischer Vertiefungsfragen

Ist man mit einer derartigen vertiefenden Frage der Sache auf den Grund gegangen, so kann der Coach durch eine Impuls-Frage einen Anstoß zur zielgerichteten Weiterführung des Dialogs setzen: Nach der Antwort „Mit ‚Gefahr‘ meine ich, dass wir – wie bereits 2021 geschehen – Kunden verlieren, wenn wir …!“ könnte die weiterführende Frage lauten: „Was müssten wir Ihrer Meinung nach also tun, um das diesmal zu verhindern?“

Im Coaching, wie auch in der Moderation, können spezifische Vertiefungsfragen wie: „Was konkret verstehen Sie unter …?“, „Wodurch, glauben Sie ist X entstanden?“, „Womit könnte das Ihrer Meinungen nach zusammenhängen?“ und konkrete Impulsfragen wie „Was könnten wir tun, damit diesmal …?“, „Wie würde es trotzdem gehen?“, „Worauf müssten wir achten, um es dennoch realisieren zu können?“ etc. über Prozess- Klippen hinweghelfen. Spezifische Fragen können ein Klima der Exploration und Intuition, der Akzeptanz und Lösungsorientierung erzeugen. Und genau das ist es, was wir für erfolgreiches Coaching brauchen.

Ihr/Euer/Dein
Josef Seifert


In Anlehnung an: Linda Bühner & Josef Seifert „MODERATIO Notiz 16