Ikigai

Das japanische Ikigai 生き甲斐 bedeutet ‚Lebenssinn‘ und ist – frei übersetzt – „Lebensglück“ oder „das, wofür es sich zu leben lohnt“. Das kann für jeden etwas anderes sein. Je klarer man weiß, was einem Spaß macht, was Erfüllung gibt, womit man in den „Flow“ kommt aber auch, was man gut kann und was man vielleicht auch der Welt Gutes tun möchte weil man nützlich sein will, desto klarer kann man sagen, wofür es sich lohnt morgens aufzustehen. Wenn man dann damit auch noch Geld verdienen und seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, gehört man zu den Glücklichen dieser Erde.

Meistens fallen die Bereiche aber nicht zusammen und man ist gezwungen, sich den individuellen Lebenssinn zu „patchworken“. Das bedeutet, dass man bei seiner Lebensgestaltung einerseits versuchen kann, dem Ideal des Ikigai möglichst nahe zu kommen und andererseits darauf zu achten, dass jeder Bereich im Leben ausreichend vorkommt. Man könnte von einer anzustrebenden „dynamischen Balance“ sprechen, ähnlich der Idee von Ruth Cohn in der TZI. Dabei geht es nicht darum, eine statische Balance zwischen den Bereichen zu erreichen und aufrecht zu erhalten. Vielmehr geht es darum „über den dicken Daumen“ eine ungefähre Gleichverteilung hinzubekommen. Es wird also, was das zeitliche aber auch das inhaltliche Engagement angeht, mal der eine und mal der anderen Bereich im Vordergrund stehen, ganz wie es situativ erforderlich ist. Letztlich befinden sich aber das Wollen, das Sollen, das Können und das Müssen in einer individuellen „Lebens-Balance“.

Dauerhafte Überbetonung eines Bereiches ist so, als ob man vier Pflanzen hat und nur eine gießt. Es werden alle Schaden nehmen. Bei den genannten Lebensbereichen ist es so, dass die Betonung eines Bereiches den Wert, der dieser im Konzert mit den anderen Werten haben kann, ins Gegenteil verkehrt:

Wollen: Dem, der versucht nur noch zu machen, was Spaß bringt, den Flow erzeugt, den Kick gibt, wird es ergehen, wie dem Süchtigen, die Dosis muss ständig gesteigert werden, bis es nicht mehr geht. Um Entspannung empfinden zu können, muss man Anspannung erleben, der Feierabend wird nur zum Feierabend, wenn der Tag Anstrengung gegeben hat.

Sollen: Wer sich für die Welt aufopfert, alles und jeden retten will, vergisst und vernachlässigt sein eigenes Recht auf Freude und wird eines Tages weder im Stande sein andere zu retten, noch sich selbst.

Können: Wenn es im Leben nur noch darum geht, seine Talente auszubauen, zur Perfektion zu gelangen, dann gerät man in Gefahr, zum Sklaven des eigenen Perfektionsanspruches zu werden. Die Fähigkeit eigene Schwächen zu sehen, zu akzeptieren und auch mal über eigene Unzulänglichkeiten schmunzeln oder gar lachen zu können verkümmert. Die Entlastungsfunktion des nicht perfekt sein müssens fehlt.

Müssen: Wer über die Notwendigkeit erforderliches Einkommen zu generieren hinaus, sein Leben auf das Streben nach möglichst hohem Einkommen und maximales Ansehen, auf möglichst viel „Zeigbares“ ausrichtet, begibt sich in die Gefahr psychisch und physisch auszubrennen.

Für einen „Schnelltest“ lohnt es sich, sich die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Wollen: Was liebe ich? Womit beschäftige ich mich für mein Leben gern? Mache ich das ausreichend?
  • Sollen: Was hat die Welt davon, dass es mich gibt? Was kann ich der Menschheit Gutes tun? Widme ich diesem Bereich ausreichend Zeit?
  • Können: Was zeichnet mich aus, was kann ich besonder gut? Welche Fähigkeiten habe ich? Welche kann und möchte ich ausbauen, welche neu entwickeln?
  • Müssen: Wie verdiene ich meinen Lebensunterhalt, wofür werde ich bezahlt? Bringe ich mich zeitlich und inhaltlich ausreichend ein?

Auch wenn Ikigai keine allgemein gültige, konkrete Zielsetzung darstellen kann, kann es doch gut als Projektionsfläche zur Reflexion und Planung beruflichen und privaten Handelns genutzt werden.

Ihr/Euer/Dein
josef seifert