Warum?

Warum? Stets benutzen wir die fünf Buchstaben, um den Grund für ein Verhalten oder einen Umstand zu erfragen. Doch im Coaching erweist sich das Fragewort „Warum“ als kritisch.

Wer? Wie? Was? Wieso? Weshalb? Warum? – Wer nicht fragt, bleibt dumm!

Wer kennt nicht dieses Lied der Sesamstraße, das Kinderohren so vertraut ist und Eltern oft in den Wahnsinn treibt. Bohrende Warum-Fragen zu beantworten, ist anstrengend – vielleicht gerade deshalb wird das Wörtchen „Warum“ gerne und viel in unserer Kommunikation verwendet. Auch im Coaching ist das „Warum“ anzutreffen – und doch sind Warum-Fragen in diesem Bereich ganz besonders fehl am Platz. Doch warum stellen wir überhaupt Fragen?

Warum wir Fragen stellen

Fragen sind unentbehrliche, nie stumpf werdende Werkzeuge, wenn der Mensch versucht zu verstehen, warum er tut, was er tut, wie die Dinge funktionieren und zusammenhängen. Die vielen Fragen, die sich uns Menschen stellen, fordern uns auf, uns in ein großes Unbekanntes hineinzuwagen, um zu lernen, zu wachsen und zu erkennen, dass wir nicht fertig sind. Nach dem verstorbenen Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti sind Fragen ein Mittel des „Eindringens“, der Zerlegung, vor der man sich durch Schweigen irgendwann schützen muss. Fragen sind auch für den Moderator und Coach von zentraler Bedeutung: Er muss die Balance halten zwischen Aktivieren und Mäßigen, zwischen wissen wollen, worum es genau geht, was da läuft, dahintersteckt, stört, blockiert … und penetrantem Nachbohren. Er darf weder Verhörcharakter noch Widerstand erzeugen, damit er den Kommunikationsprozess kraftvoll leiten, maßvoll steuern und kontinuierlich weiterführen kann.

Warum nicht „Warum?“

Im Coaching sind Warum-Fragen mit Vorsicht zu genießen. In ungewohnten oder stressbelasteten sozialen Situationen lösen Warum-Fragen nämlich Reaktanz, d.h. eine innere wie äußere Abwehrreaktion aus. Sie münden entgegen ihrer Intention nicht selten in einer Kommunikationsblockade. Jemand, der unter emotionalem Druck steht, wittert in diesen fünf Buchstaben einen versteckten Angriff und reagiert wahrscheinlich mit Rechtfertigungen oder einem Gegenangriff.

„Warum“ fragt nach einer kausalen Erklärung für ein Phänomen, einer Aus-Wirkung. Und eine kausale Erklärung schließt von einer Ursache auf eine Wirkung. Sie setzt die Wirkung als Tatsache voraus und sucht nach einem ursächlichen, direkten Zusammenhang zur Wirkung. Warum-Fragen führen zur Begründungssemantik. Ein „Warum?“ fordert ein „Weil!“ und das, weil wir Menschen die Neigung haben, hinter allem eine Ursache zu vermuten. Wir meinen, (immer weiter) Warum-Fragen stellen zu können und dadurch zu immer tieferen Erkenntnissen zu kommen. Dieses Vorgehen hat evolutionäre Gründe: Es gilt als vermeintlich besser, eine falsche Ursachenvermutung zu haben als keine Erklärung.

Das Weltbild der Warum-Fragenden: Determiniert und mechanisch

Im Coaching wird durch Warum-Fragen ein mechanistisches Weltbild suggeriert, in dem alles determiniert ist und Zwischentöne ignoriert werden. Wenn man zu wissen glaubt, wie die Dinge miteinander zusammenhängen, ist man nicht mehr in der Lage, zu überlegen, ob es denn auch anders sein könnte. Damit allerdings erweist der Coach sich und den Menschen in seiner  Teilnehmergruppe einen Bärendienst. Gerade die Zwischentöne sind es ja, auf die es im Coaching ankommt! Eine Aufgabe des Coaches ist es, zu zeigen, dass keine Meinungen „richtiger“ oder „besser“ ist als eine andere. In multikausalen, offenen Systemen ist es nicht möglich, Ereignisse und auf ihnen basierende Folge-Ereignisse als Ursache-Wirkungs- Prinzipien zu definieren. Die Frage etwa danach, wer angefangen hat, warum die Situation so ist, wie sie ist, ist z.B. für Konfliktgeschehen (in einer Partnerschaft oder in einem Team) im Regelfall nicht beantwortbar, zumindest nicht eindeutig und zweifelsfrei. Kleine Ereignisse führen zu größeren Ereignissen und die Eskalationsspirale nimmt ihren Lauf. Subjektive „Erklärungen“ führen zu  unüberbrückbaren Reaktionen. Die Warum-Frage: „Warum ist es zu X gekommen“ führt zu einem Schuldigen oder Verursacher, dem Sündenbock und das wird der Komplexität der Realität nicht gerecht.

Wenn nicht „Warum?“, was dann?

Ein Coach muss mit lösungsorientierten Fragen ans Werk gehen und die Schleife nach der unsinnigen Suche nach dem einen Grund, dem einen Schuldigen, … durch eine sinnvolle Suche nach relevanten Informationen für die gegebene Aufgabenstellung ersetzen. Eine gute Orientierung zum gezielten Fragen bietet dem Coach das so genannte „Metamodell der Sprache“: Der Ausgangsgedanke ist dabei der, dass die Dinge um uns herum unabhängig davon existieren, ob wir sie benennen, ob wir ihnen einen Namen geben oder nicht. Damit wir uns über das, was ist (und das, was wir uns vorstellen) austauschen können, brauchen wir Namen für die Dinge. Um komplexe Zusammenhänge austauschen zu können, brauchen wir mehr als Begriffe, wir benötigen ein Sprachsystem, eine Sprache. Das Gesprochene ist aber niemals das Ding an sich, sondern lediglich eine Beschreibung des Dings (oder Sachverhaltes), es ist also stets nur ein „Modell“ dessen, was es bezeichnet. Die Landkarte (wie gut sie auch immer gemacht ist) ist nicht das Gelände, sondern nur ein „Modell“ davon. Und das Modell dessen, was wir wahrnehmen (also letztlich unser Modell der Welt), ist auch noch im höchsten Maße individuell!

Im Coaching, wie auch in der Moderation, können spezifische Vertiefungsfragen wie: „Was konkret verstehen Sie unter …?“, „Wodurch, glauben Sie ist X entstanden?“, „Womit könnte das Ihrer Meinungen nach zusammenhängen?“ und konkrete Impulsfragen wie „Was könnten wir tun, damit diesmal …?“, „Wie würde es trotzdem gehen?“, „Worauf müssten wir achten, um es dennoch realisieren zu können?“ etc. über verbale „Klippen“ hinweghelfen. Spezifische Fragen können ein Klima der Exploration und Intuition, der Akzeptanz und Lösungsorientierung erzeugen. Und genau das ist es, was wir für erfolgreiches Coaching brauchen.

Ihr/Euer/Dein
Josef Seifert


In Anlehnung an: Linda Bühner & Josef Seifert „MODERATIO Notiz 16